Emre Demiralp
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Zusammenfassung:
Der Autor beschreibt aus erster Hand, wie Linux das Gesicht der Forschungs- und
Lehreinrichtungen in der Türkei geändert hat. Seine Erfahrungen stehen stellvertretend
für den Wandel, der sich an den Universitäten in aller Welt vollzieht.
Linux findet eine unerwartet weite Verbreitung in der Türkei, besonders im akademischen Bereich. Vor allem die Technische Hochschule Istanbul spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer türkischen Linux Version, sowie, in unterschiedlichem Maße, bei der Entwicklung und Verbreitung von Linux. Erst vor kurzem wurde eine Beta Version des türkischen Linux (Turkuvaz) am Lehrstuhl für Elektrotechnik der Universität entwickelt. Obwohl es hier die Assistenten im Bereich Forschung und Lehre waren, die es entwickelten, so sind es doch die Studenten der wissenschaftlichen und literarischen Fakultät, die Linux am intensivsten nutzen. Die Studenten sind Teilnehmer des Mathematical Engineering Undergraduate Program (Studiengang "Mathematisches Ingenieurswesen"), welcher gemeinsam von der mathematischen Abteilung und den Ingenieuren geleitet wird. Dieser Artikel beschreibt den Einsatz von Linux vom ersten Tag an in dieser Studienrichtung.
Das ganze begann 1992 mit der Modernisierung des Studienganges des mathematischen Ingenieurs.
Damals entschied sich die Abteilung für Ingenieurwesen für eine drastische Änderung der eingesetzten Software. Die Inhalte der Vorlesungen wurden überarbeitet, so daß nicht mehr einfach Wissen vermittelt wurde, sondern vielmehr Techniken, wie sich die Studenten strukturiert Wissen aneignen und effektiv anwenden können. Dadurch bekam die Lehre, vor allem in den computerorientierten Kursen, einen dynamischen Aspekt, so daß die Lehrer einfach in der Lage waren, den jeweiligen Inhalt kurzfristig zu überarbeiten und so den aktuellen Notwendigkeiten anzupassen. Dies ist besonders für die rasanten Änderungen im Bereich der Computer Technologie und Informatik wichtig.
Bevor es hier weitergeht, sollte kurz erläutert werden, was in der Türkei der Ausdruck "Mathematisches Ingenieurwesen" bedeutet. Dies ist eine interdisziplinäre Tätigkeit, durch die die Leute in der Lage sind, technische Diskussionen mit Mitgliedern aller Ingenieurs-Richtungen zu führen. Probleme interdisziplinärer Art zu erkennen, Algorithmen zur Lösung resultierender mathematischer Probleme zu finden oder zu erschaffen und den Computer als effizientes Werkzeug einzusetzen, zählen zu den Hauptfähigkeiten der Leute in diesem Bereich.
Noch im Jahr 1991 waren die Computereinrichtungen, die den Studenten zu Verfügung standen, bescheiden. Es gab zwar einen IBM Mainframe; aber nur das Fakultätspersonal hatte zu diesem Zugang. Die Studenten mußten sich mit elf 8086 PCs begnügen. Viren machten die Betreuung des Rechnerpools zum Alptraum. Der Virus selbst war eigentlich nicht so problematisch, aber der Einsatz der Rechner durch all die Leute, verschlimmerte die Lage. Einzige Möglichkeit war im Endeffekt, jedes Mal die Rechner neu zu installieren (nach der Formatierung der Festplatten), wenn es notwendig wurde. Dies führte dazu, daß die Administratoren sich nach effizienteren Lösungen umsahen. Dies vor allem auf Softwareebene, da die finanzielle Situation keine Erneuerung der Hardware zuließ.
Im Jahre 1992 schaffte die Universität eine SUN IPX Workstation an, wodurch UNIX Einzug in die Klassen hielt. Bald darauf war der Dekan der Fakultät in der Lage, fünfzehn 386er zu kaufen. Aufgrund vergangener Probleme mit dem Virus und der Administrierung, suchte man eine effizientere Lösung. Der erste Versuch wurde mit OS/2 gestartet. Fehlendes Wissen und Erfahrung führten jedoch dazu, daß die Studenten innerhalb einer Woche die Systeme übernommen hatten! Es kam zum Zusammenbruch. Glücklicherweise hatte der Leiter der Einrichtungen über das BITNET von einem neuen Betriebssystem namens Linux gehört. Die Adresse wurde ausfindig gemacht, die Software bestellt. Es handelte sich hierbei um Yggdrasil LINUX. Natürlich war die Anschaffung der Software kein Allheilmittel, ganz im Gegenteil, es stand ein harter und dorniger Weg voller Probleme bevor. Nichtsdestotrotz, die Software war kostenlos und es gab genug Informationen im Internet. Jedem waren die Probleme bekannt, allen klar, daß ein langer Weg zum Ziel bevorstand. Die schnelle Entwicklung von Linux, seine begeisterten Anhänger und die Philosophie der freien Software gaben den Ausschlag für die Entscheidung: Linux wurde das Betriebssystem für die Rechner.
Nach einem Jahr, in dem das Personal Erfahrungen mit dem neuen Betriebssystem sammelte, war klar, daß die Administration der Rechnerpools keine leichte Aufgabe war. Es war unheimlich zeitintensiv, und fast unmöglich, mit einer handvoll Administratoren hunderte von Studenten zu betreuen, die möglicherweise noch nie zuvor mit diesem Betriebssystem in Berührung gekommen waren. Ein Jahr später brachte der Kauf neuer 386er und 486er mehr Flexibilität in die Pools, allerdings auch mehr Arbeit. Da es zu teuer war, Fachkräfte für die Systempflege einzustellen, kam man auf die Idee, Studenten als Administratoren zu rekrutieren. Sie sollten die Systeme warten und konnten zugleich in dieser Richtung mehr lernen, als durch ihr Studium möglich wäre. Sie bekamen den Namen "studentische Berater" und durften nahezu alles mit den Rechnern machen, sowohl auf Software- als auch auf Hardwareebene. Letztere war dabei ein wenig eingeschränkt, da aufwendigere Geräte für eine intensivere Wartung gebraucht wurden (dennoch waren sie in der Lage, Hardwareversagen zu ermitteln und gegebenenfalls Ersatz vorzuschlagen). Es funktionierte. Erst kam das X Window zum Einsatz, dann wurden TeX und seine Werkzeuge, sowie PostScript immer mehr genutzt. Dieser Software folgte dann gcc und andere Programmiersprachen, wie Pascal, Fortran, Mathematica, Scilab, Rlab, uvm. Später entstand das Netzwerk und alle notwendigen Server wurden installiert.
Heute sind schätzungsweise einhundert studentische Berater an der Pflege des Systemes beteiligt. Neben der Wartung haben sie noch die Aufgabe, neue Software zu finden, anzupassen und zu schreiben. Sie opfern ihre Freizeit, um ihr Wissen zu erweitern und Praxis zu erwerben, wodurch sie bei ihrem Abschluß eine zusätzliche Auszeichnung erhalten können. Die studentischen Berater sind in neun Bereichen tätig:
Heutzutage sind die Pools der Fakultät durch Rechnerkäufe aufgerüstet worden. Das System besteht aus 70 Pentium 166ern, von denen 50 unter Linux laufen. Die Wartung wird durch das System der studentischen Berater vorgenommen, das vorhin erklärt worden ist. Das System selbst wird von ca. 500 Studenten 24 Stunden am Tag genutzt, die längste Zeit ohne einen einzigen Crash war 90 Tage. Das System ist NFS und NIS basiert, nutzt Quota und verwaltet das Windows NT Teilnetz. Es ist eine wertvolle Erfahrung in Sachen Linux, jedes Jahr werden durch die Labors mindestens 50 erfahrene und trainierte Leute der türkischen Computer und Software Gemeinde zugeführt. Zum Schluß sollte erwähnt werden, daß keiner von den Studenten, die neu in Sachen Computer waren oder von einem anderem Betriebssystem kamen, daran denkt, den Linuxweg zu verlassen. Sie lieben es und die türkische Linux Gemeinde wächst jeden Tag. Hier sind noch einige Beispiele von animierten GIF Grafiken, die von der Abteilung von Grafik und Animation erstellt worden sind.
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