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Interview mit Linus Torvalds

von Manuel Martinez

Aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Georg Koester:

 
 
LF: Nachdem Sie Linux erschaffen hatten, entschlossen Sie sich 1992 dazu, es unter einer GPL-Lizenz der FSF registrieren zu lassen, die eine großzügige Verteilung des Quellcodes des Linux-Kerns zuläßt. 

Linus: Ich wechselte die Linux-Copyright-Lizenz zu GPL irgendwann in der ersten Hälfte 1992 (März oder April glaube ich). Vorher war es eine sehr strenge Lizenz mit einem grundlegenden Verbot jeglicher kommerzieller Verteilung - hauptsächlich weil ich ein Jahr vorher sehr die nicht-Verfügbarkeit eines günstigen Unix bedauert hatte. 

LF: Von Zeit zu Zeit haben Sie die GPL sehr engagiert gegen andere Lizenzen, wie zum Beispiel die der Berkeley-Universität,  verteidigt. 

Linus: Ich würde sagen, daß es bei einem Vergleich mit der Lizenz der Berkeley-Universität zum Beispiel, nicht irgendetwas fundamental besseres in der GPL gibt. Aber die GPL ist die Lizenz, mit der _ich_ programmieren möchte, weil im Gegensatz zur der aus Berkeley stammenden jeder, der in Zukunft Änderungen am Code vornimmt, diese auch der Gemeinschaft zukommen lassen muß. 

Und wenn ich in meiner Freizeit zu meinem eigenen Vergnügen programmiere, will ich wirklich diese Gewißheit haben: Ich will sicher sein, daß falls ich ein Programm verbessere mir und anderen alle diese Änderungen auch in zukünftigen Versionen des Programms zugute kommen. 

Andere haben andere Ziele, und manchmal sind die Lizenzen nach BSD-Stil besser für diese Ziele. Ich persönlich tendiere dazu, die GPL vorzuziehen, aber das heißt nicht, daß die GPL vom Prinzip her besser wäre - das hängt davon ab, was jemand von der Lizenz erwartet. 

LF: Neuerdings überraschen einige angesehene Firmen mit der Ankündigung den Quellcode von Programmen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Als Beispiel ist hier die Netscape Communications Corporation zu nennen, die plant, ihren Navigator in Linux zu integrieren. Was sagen Sie zu der GPL-Lizenz, dem "Free Software Movement" ("Freeware-Bewegung") und Netscapes neuem Zug? 

Linus: Ich glaube nicht, daß Netscape den Navigator in Linux "integrieren" will. Ich glaube was geschah ist,  daß die Leute von Netscape schon lange darauf aufmerksam geworden sind, wie gut das Linux-Entwicklungsmodell funktioniert, und daß Microsofts Angriff auf den Browsermarkt zu der Entscheidung führte, daß es Zeit für ungewohnte Methoden ist, um eine Veränderung des Marktes herbeizuführen zu könnnen. 

Ich bin persönlich sehr mit dem Handeln von Netscape zufrieden, schon deswegen, weil sehr bekannte kommerzielle Organisationen beginnen die Nützlichkeit und die Erfolgchancen des Free-Software-Paradigmas wirklich zu sehen. Netscape kann als Beispiel für Andere dienen, die nachfolgen können. 

LF: Wenn wir schon dabei sind, wie meinen Sie, wird die Linux- und die Freeware-Gemeinde in 2, 5 oder 10 Jahren aussehen? Sind Sie der Meinung, die Freeware-Bewegung wird bei der Evolution der kommerziellen Software  mithalten können, indem jede neue Technologie in Linux und BSD integriert wird?  

Linus: Ich versuche niemals irgendwelche weitreichenden Vorhersagen zu machen; so viel kann passieren, es läßt einen ein paar Jahre später einfach dumm dastehen. Ich denke, daß freie Software nicht nur eindeutig mit der Entwicklung von kommerzieller Software mithalten kann, sondern daß sie oftmals über die Möglichkeiten kommerzieller Entwicklung hinausreicht. Netscape stimmt da offensichtlich mit mir überein. 

LF: Entgegen Linux´ kurzem Leben hat dieses Betriebssystem in Rekordzeit viele hunderttausend Kenner in der ganzen Welt gewonnen. Viele Experten wählten es von einem objektiven Standpunkt vorurteilslos für ihre Firmen aus. Nicht aus fanatischen Gesichtspunkten, sondern weil Sie die Leistungsfähigkeit von Linux erkannnt haben. Es gibt andere, vorsichtigere, die nicht öffentlich zugeben, mit Linux zu arbeiten (vielleicht um ihrer Firma nicht einen Rückschlag aufgrund der Nutzung von freier Software zuzumuten). Schließlich gibt es die wahrhaften Meister von Linux, die sich selbst vielleicht als David identifizieren, der gegen einen Goliath, dargestellt durch Microsoft, antreten. Diese gerade genannte Firma repräsentiert die Essenz des Marktsystems, nämlich den Hauptgedanken, nach dem Produkt selbst, zu Verkaufen und enorm viel Geld zu machen. Teilen oder verstehen Sie dieses Bestreben? 

Linus: Natürlich verstehe ich den "David gegen Goliath"-Aufbau. Aber ich persönlich kann mich nicht sehr für ihn begeistern. Ich kann nicht sagen, daß ich Microsoft mag; ich bin der Meinung, daß sie ziemlich schlechte Betriebssysteme machen - Windows NT ist auch nicht besser - aber während ich nichts für ihre Betreibssysteme übrig habe und ihre Vermarktungsstrategien verabscheue, kümmere ich mich nicht sehr um sie. 

Ich bin einfach zu zufrieden damit, zu tun was ich tun _will_, um ernsthaft eine negative Einstellung gegenüber Microsoft zu haben. Sie machen schlechte Produkte - also was solls? Ich habe damit nichts am Hut, weil ich sie glücklicherweise nicht benutzen muß. Und meine eigene Alternative zu programmieren war auf jeden Fall eine sehr befriedigende Erfahrung. Ich habe dadurch nicht nur eine Menge gelernt, sondern auch tausende von Menschen, die ich wirklich mag, kennengelernt während ich Linux entwickelte - einige von diesen persönlich, aber die meisten durch das Internet. 

LF : Bitte erlauben Sie mir diesen einfachen und oberflächlichen Vergleich anzustellen. Sie haben wie Bill Gates als Student ein sehr erfolgreiches Betriebssystem entwickelt. Naja, eigentlich hat Gates nicht wirklich selber ein OS entwickelt, aber bitte erlauben Sie mir den Vergleich ; ). Sie haben eine gewaltige Popularität erreicht und mehrere Preise gewonnen, wie "The UniForum Award" oder vor kurzem (1997) den der "Nokia Foundation" der Ihr "anspornendes Beispiel für junge Forscher" erwähnt. Jetzt ist Herr Gates, Jahre später und weit entfernt von dem Jungen, der zusammen mit Paul Allen Microsoft gegründet hat, abscheulich reich und wohnt in einer Wohnung nahe Lake Washington in Seattle. Diese Wohnung kostet ihn so ungefähr 63 Millionen US$. Können Sie sich vorstellen, mit Ihrer Frau Toe und Ihrer Tochter Patricia in einem Haus wie jenem zu leben? 

Linus: Ich habe keine Ahnung von wo ich so viel Geld bekommen sollte, aber ich kann mir gut vorstellen, in einem solchen Haus zu leben. Ich würde das wahrscheinlich riesig genießen ; ). 

Aber ich denke nicht, dass dieser Vergleich sehr zutreffend ist. Bill Gates ist scheinbar in Wirklichkeit viel eher ein Geschäftsmann als ein Techniker. Währendessen ziehe ich es vor, an die technischen Aspekte von Linux zu denken und es nicht als Geldquelle zu betrachten. So gesehen werde ich wahrscheinlich nicht so viel Geld wie Bill Gates machen. 

LF: Am 25. August 1991 haben Sie die folgende Message in das USENET gesetzt: "Hallo an alle minix-Benutzer da draußen. Ich mache ein (freies) Betriebssystem (nur ein Hobby, es wird nicht groß und professionell wie gnu) für 386(486) AT-kompatible." Seit der Geburt von Linux 1991 (glücklicherweise wollte das  Schicksal das Sie es nicht Benedictux nannten), ging die Entwicklung dieses Betriebssystems durch verschiedenen Phasen. Am Anfang steht die primitive Version 0.01 vom September 1991. Am fünften Oktober hatten Sie dann schon die Version 0.02 und kurz danach veröffentlichten Sie 0.03, schließlich kamen 0.10, 0.11 und mit 0.12 wurde ein recht anständiges Ergebnis erreicht. Von da an sprangen Sie zu 0.95 und 0.96, in der Voraussicht der ersten "nicht-beta" Version. Nach der ersten Version kündigten Sie am neunten Juni 1996 Version 2.0 an, welche wenig mit ihren Vorgängern zu tun hatte: Unterstützung für multiple Architekturen, Unterstützung für symmetrische Multiprozessoren, schreiben und lesen von Shared Memory Mappings von Dateien, um nur ein paar von dessen Neuerungen zu nennen. Können Sie schon sagen, wann wir Version 3.0 sehen werden, und welche Neuerungen den Sprung zu einer neuen Version verdienen werden? 

Linus: Im Moment sieht es so aus, als ob der nächste Sprung Echtzeit- und Cluster-Features sein werden. Linux wird tatsächlich schon für beides benutzt, aber schon für etwas genutzt werden und für etwas geplant worden zu sein sind zwei Paar Schuhe. 

Aber ich will Linux nicht auf irgendeinen "Fünf-Jahres-Plan" beschränken! Das Clustering- und Echtzeit-Krams ist einfach etwas, woran schon Leute arbeiten, darüberhinaus wird es einigermaßen gut verstanden und es gibt traditionelle Einsatzbereiche. 

Ich denke die richtig _interessanten_ neuen Dinge werden Sachen sein die heute erst spärlich auftauchen, die aber in einem oder zwei Jahren selbstverständlich sein werden. Netzwerke mit hoher Bandbreite, Live-Video usw. Ich weiß nicht, wie all jenes unseren Gebrauch von Computern verändern wird, aber es wird sicher eine ziemlich grundlegende Veränderung der Betriebssysteme bewirken. 

LF: Im August letzten Jahres (1997) wurde in Monterey, California, ein lange geführter Streit um den Besitz des Linux-Warenzeichens gelöst und Ihnen wurde das Besitztum des Zeichens zugewiesen. Im Gegesatz dazu erlaubt die GPL-Lizenz anderen Firmen, mit dem Verkauf von Linux Geschäfte zu machen, ohne daß Sie direkt (jedenfalls im Verhältnis) an den Profiten, die resultieren müssen, beteiligt werden. Statt dessen widmen Sie sich aktiv und persönlich dem Entwickeln von neuen Versionen und Patch-Updates. . . 

Linus: Ja. Es sollte angemerkt werden, daß das Warenzeichen des Namens "Linux" und das Copyright auf den Quellcode, der Linux ausmacht, in Wirklichkeit sehr verschieden sind. Im Moment gehört mir das Warenzeichen und ein großer Teil der Copyrights, aber es gibt keine Anzeichen, daß es immer so sein wird. Um es genau zu sagen, habe ich versucht, das Warenzeichen der Linux International not-for-profit organization zu überschreiben, aber es machte juristisch mehr Sinn, es mir persönlich zu übereignen. Außerdem gibt es scheinbar mehr Menschen, die mir persönlich eher vertrauen als einer Organisation. 

LF:  . . .Wenn Sie gefragt werden, ob es Sie störe, antworten Sie nicht nur negativ, sondern drücken auch noch Ihre Zufriedenheit und Feude darüber aus, daß Firmen wie Red Hat Linux in kommerzielle Wagnisse einführen und deshalb in die Entwicklung investieren, um ein besseres Produkt zu erhalten. Wie fühlen Sie sich, wenn bekannt wird, daß nicht Windows/NT oder DEC Unix zum Beispiel, sondern Linux als ideales OS von Digital Domain ausgewählt wird, der Firma, die die  high-tech Visual Effects für den Film Titanic gemacht hat. Oder wenn Debian Systems die Software für die Ham-Radio Kommunikationssatteliten entwickelt? 

Linus: Augenscheinlich ist einer der Gründe warum es mich wirklich nicht kümmert, dass Menschen Linux kommerziell verkaufen, dass ich mich gut fühle wenn Menschen das Produkt benutzen. 

Während ich auch kein Geld von Linux bekomme, habe ich doch eine große persönliche Genugtuung, weil ich etwas programmiert habe, dessen Nutzung die Menschen wirklich erfreut, und das Menschen für die beste Alternative für ihren Zweck halten. 

Und währenddessen fordert die GPL, daß alle zukünftigen Investitionen in Linux für alle zugänglich sind. Das heißt wenn eine kommerzielle Firma wie Red Hat ein etwas besseres Linux-Release macht, bekomme ich wirklich etwas _zurück_. Also gibt es ziemlich viel Entschädigung, auch wenn diese Entschädigung nicht in Form von Geld ist. 

LF: Was meinen Sie zu dem anhaltenden GUI-Krieg für die Linux-Umgebung? Was denken Sie über die alternativen GUIs, wie das Berlin-Projekt? Sehen Sie im Zusammenhang mit X irgendwelche Probleme auftreten? 

Linus: Ich bin in der komischen Situation, mich sehr engagiert auf das Grundsystem konzentriert zu haben, und deswegen den Projekten rund um Linux nicht sehr ernsthaft gefolgt zu sein. Ich habe die Benutzerebene aufs Geradewohl gewähren lassen, in der Gewißheit, daß welche Absonderlichkeiten ein Benutzerebenenprogramm auch immer machen möge, der Kern wird es handhaben können. 

Wenn es um ein GUI geht, ist einer der wichtigsten Faktoren, daß es weithin anerkannt wird, und daß es technisch stimmig ist. Das X-Window System erfüllt diese beiden Voraussetzungen, soweit ich das sehe. Und während es offensichtlich ein paar Probleme gibt, bedeutet das keinesfalls eine Schwächung. 

Ich glaube die interessanteste Arbeit wird in eine Verbesserung des Look and Feel gesteckt, und nicht in dessen Ersetzung. Es gibt ein paar wirklich nette Desktop-Oberflächen: fvwm95, KDE usw. Und ich denke X ist besser für sie.  Ich glaube weiterhin nicht, dass es ein großes Problem mit dem GUI gibt, aber ich werde warten und schauen was kommen mag. 

LF: Zu diesem Zeitpunkt, nur 6 Jahre seit der Geburt von Linux, verändern sich die Dinge mit großer Geschwindigkeit. RedHat wurde von Infoworld zum Betriebssystem des Jahres ernannt; Linux laut IDC das am schnellsten wachsende nicht-Microsoft Betriebssystem der Welt; und es wird geschäzt, daß 1997 zwischen 2 Millionen und 6 Millionen Kopien von Linux weltweit installiert wurden. In der Mitte von diesem Schwall von Ereignissen scheinen Sie nicht unbeteiligt zusehen zu wollen, wie Linux wächst. Im Gegesatz handeln Sie scheinbar entgegen alle physischen Gesetze des Raumes und der Zeit, wenn Sie auf mehreren Konferenzen auftauchen (wie das geplante Erscheinen in North Carolina im März), Ihre Arbeit bei Transmeta aufrechterhalten (können Sie uns zufällig etwas dazu sagen?), das fortgesetzte Entwickeln des Kerns (lesen von E-Mail und Newsgroups) verfolgen und sich um die Medien kümmern, die von Zeit zu Zeit Ihnen und Ihrem Privatleben Aufmerksamkeit schenken. 

Linus: Linux hat meine kleinen anfänglichen Erwartungen mehr als erfüllt. Es ist einfach unglaublich, wie erfolgreich Linux war, und wieviel Spaß ich mit der Entwicklung und Leitung des Projektes hatte. Es verschlingt eine _Menge_ von meiner Zeit, aber diese Zeit so zu verbrauchen macht wirklich Spaß. Zusätzlich hat Linux nie aufgehört, mich vom technischen und organisatorischen Standpunkt her zu reizen. 

Ich gehe nicht mehr so oft wie gewöhnlich zu Konferenzen, denn ein Kind zu haben und von der Universität weggegangen zu sein läßt mir weniger Zeit als ich noch vor ein paar Jahren hatte, aber ich habe versucht das auszubalancieren - nicht nur Zeit mit Linux zu verbringen, sondern auch noch einen richtigen Beruf und ein richtiges Leben zu haben. Es hat ganz gut funktioniert, und während ich doch sehr beschäftigt bin, kann ich beruhigt behaupten, niemals Langeweile zu haben ; ) 
 


© 1998 Manuel Martinez 
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